Tamás Sebők ist ein internationaler, anerkannter Preisrichter und Chefklassifizierer für Holstein Ungarn.
Ungarns Landwirtschaft ist geprägt von einer Vielzahl landwirtschaftlicher Betriebe. Von kleinen Familienbetrieben bis hin zu großen, modernen landwirtschaftlichen Unternehmen. Traditionell spielt der Ackerbau aufgrund der teils hervorragenden Böden eine wichtige Rolle, jedoch kommt der Viehzucht und der Milchwirtschaft ebenfalls eine bedeutende Rolle zu. In den letzten Jahren hat Ungarn rasante Fortschritte bei der Modernisierung und der technologischen Entwicklung der Landwirtschaft gemacht. Modernste Milchviehanlagen sowie hohe Grundfutterqualitäten garantieren beste Bedingungen für hochleistende Holsteins.
MEINHARD HUBER CHRISTINE MASSFELLER
Anfang Juni führten uns unsere Recherchen nach Ungarn. Die erste Station unserer Reise war der nationale Zuchtverband mit Sitz im Zentrum der wunderschönen historischen Hauptstadt Budapest, wo man uns im „Haus der Tierzucht“ herzlich und mit viel Freude über unser Interesse an der ungarischen Holsteinzucht empfing. In diesem Gebäude ist nicht nur der Holsteinzuchtverband angesiedelt, sondern auch die zuständigen Herdbücher für Fleischrassen, Schafe und Ziegen sowie die Pferdezucht. Im vierten Stock arbeiten 13 engagierte Mitarbeiter für die Anliegen der Holsteinzüchter im ganzen Land. Im Gespräch mit Geschäftsführer László Bognár und Chefklassifizierer Tamás Sebők bekommen wir Einblicke in die besondere Historie der ungarischen Holsteinzucht. Ungarns Reise mit Holstein-Rindern begann vor mehr als 50 Jahren: in den späten 60er und frühen 1970er Jahren mit dem Import von 25.000 Holsteinrindern aus Nordamerika und später 10.000 aus Westeuropa. Zusätzlich wurden 1 Million Dosen Sperma, 100 -150 lebende Bullen und Embryonen eingeführt. „Dieser entscheidende Moment markierte den Beginn einer schnellen und strategischen Transformation der ungarischen Milchrinderpopulation”, schildert Bognár, der seit 1995 als Zuchtdirektor und Geschäftsführer tätig ist, die Ausgangslage. Die traditionelle Zweinutzungsrasse Simmental wurde durch die Holsteins rasant ersetzt. Dieser dynamische Wandel, ermöglicht durch eine glückliche Kombination aus wissenschaftlichem Know-How und politischem Willen, brachte Ungarn den Spitznamen „Kleinamerika in Mitteleuropa“ ein. Wissenschaftler überzeugten erfolgreich Politiker, diese Importe auch während des Kalten Krieges zu ermöglichen und erzielten durch ebendiese Zusammenarbeit bedeutende Fortschritte für die Landwirtschaft und Rinderzucht. Die nationale Milchproduktion wurde gesteigert, um wertvolle Nahrungsmittel bereitzustellen und die ständig wachsende Nachfrage an gesunden Milchprodukten zu gewährleisten. In Ungarn gibt es eine lange Tradition der Leistungsprüfung. Die Firma Livestock Performance Testing wurde 1910 gegründet. 1938 wurde das Goldene Herdbuch für hervorragende Zucht und hohe Leistungen gegründet. Im Jahr 1995 wurde die Vereinigung neu gegründet und seitdem wurden mehr als 1.300 Kühe mit einer Lebensleistung von mehr als 100,000 kg (220,000lb) registriert.
Emöke Bakó und Zsófia Hermán-Mészáros sind für das Herdenmanagement bei Kisalföldi zuständig.
Zuchtprogramm
Die Ungarische Holstein-Vereinigung wurde von 21 großen Unternehmen gegründet, die ungefähr 24.636 Kühe umfassten. Das gesamte Rahmenwerk wurde organisatorisch angepasst und man eignete sich viel Wissen über die effektiven Zuchtstrukturen in Nordamerika und Westeuropa an. Die Entwicklung war auch dabei sehr rasant und nach der Gründung wuchs der Mitgliederstand auf über 900 Betriebe mit einer Kuhpopulation von mehr als 248.000 Kühen. Aufgrund der globalen Entwicklungen haben sich die Betriebe sowie die Kuhzahlen reduziert. Aktuell sind es um die 400 Betriebe mit knapp 170.000 Kühen in der Leistungskontrolle und im Herdbuch. 90% der aktuellen Kuhpopulation sind in der Leistungsprüfung. Jährlich werden zwischen 35-40.000 Jungkühe linear bewertet. „Sechs Klassifizierer sind im ganzen Land unterwegs und viermal jährlich machen wir eine Harmonisierungsschulung“, erklärt der Chefklassifizierer und anerkannte Preisrichter Tamás Sebők. Im Durchschnitt halten die Betriebe 453 Kühe, was Ungarn an die globale Spitze bei der durchschnittlichen Herdenkuhzahl setzt. Die Durchschnittsleistung betrug 2023 (305 Tage) 10.842 kg (23,852 lb) 3,84% 3,38%. In den letzen zwei Jahrzehnten ist die nationale durchschnittliche Milchproduktion um mehr als 4.500 kg gestiegen. Zu den Hauptaktivitäten gehört auch die Führung eines ausgewogenen Zuchtprogrammes. Die Abstammungsdokumentation, Organisation von Viehschauen sowie ansprechende und informative technische Workshops und Treffen für Züchter. Jährlich findet im Süden des Landes eine Nationalschau statt, wo über 100 Kühe präsentiert werden. Des Weiteren erhalten die Mitgliedsbetriebe kostenlos sechsmal im Jahr das nationale Holsteinmagazin. Auch die Erstellung von Fachpublikationen wie z.B. Bullenkataloge werden bereitgestellt. Vor vier Jahren wurde auch ein farmweites Genomselektionsprogramm namens „HUNGENOM-Projekt” gestartet. Das Ziel ist es, soviele weibliche Tiere wie möglich genomisch zu testen und den Zuchtfortschritt weiter voranzutreiben. Bis dato gibt es um die 57.000 Ergebnisse und in Zukunft sollten es noch wesentlich mehr werden. Der ungarische Staat finanziert aktuell ca. 70 % der hierbei anfallenden Kosten. Die Zuchtwerte werden über den HGI (Holstein Global Index) erhoben. Dieser setzt sich aus 45 % Produktion (Fett und Eiweiß), 32 % Typ (Beine & Euter) und 23 % aus Gesundheitsmerkmalen (Zellzahl, Langlebigkeit und Kalbeverlauf) zusammen. „Zuverlässige, funktionale Beine und Euter sind die wichtigsten Merkmale für unsere Betriebe”, erklärt Sebők.
Modernste Stallanlagen sowie bestes Management garantieren hohe Milchleistungen der Holsteins in Ungarn.
Bullenstation
In Ungarn gab es vormalig drei Besamungsstationen, die jedoch auf eine reduziert wurden. Génbank-Semex Magyarország Ltd. oder Semex Hungary Ltd. gehört zu 100% Semex Kanada ist im Süden von Ungarn stationiert, wo man viele bekannte Bullen wie z.B. Ranger-Red antrifft. Auf der hochmodernen Station werden knapp 100 Bullen gehalten und jährlich werden um die 15-20 Bullen angekauft. Die Bullen stammen hauptsächlich aus Italien, Deutschland und den Niederlanden. Vereinzelt trifft man auch auf Bullen aus ungarischen Herden, die an ET-Programmen teilnehmen. Die Embryonenimporte stammen zum größten Teil aus Nordamerika und Westeuropa. Der Spermaimport liegt in Ungarn bei über 90 % und es gibt fast keine Handelsbarrieren, solange veterinärhygienisch und genetisch alle Bedingungen erfüllt sind, erklärt uns Bognár. Wenn wir uns die Top-5 der meisteingesetzten Bullen 2023 ansehen, finden wir den Pursuit-Sohn All.Nure Giovanni an der Spitze. Ihm folgen OCD Parfect Soysauce (Parfect x Legacy) und der töchtergeprüfte Renegade-Sohn Capone. Des Weiteren stößt man mit Peak Altatrackster und K&L Mingus auf zwei weitere Pursuit-Söhne, die große Beliebtheit bei den Farmen erfahren.
Streifzug
Anlässlich unserer Tour besuchten wir auch zwei Betriebe. Neben dem Vorzeigebetrieb des Futtermittelunternehmens Sano in Komarom, wozu eine gesonderte Reportage folgen wird, waren wir bei Kisalföldi Mg Zrt. zu Gast. Dieses Unternehmen hat drei Standorte, wo in Summe 2.500 Kühe gemolken werden. Auf dem besichtigten Standort werden 850 Kühe gemolken, davon 660 am Roboter. Modernste Stallungen und Techniken sowie beste Futtergrundlagen garantieren höchstes Tierwohl und somit produzieren die Kühe hier durchschnittlich 45 kg (99lb) Milch pro Tag. „Wir suchen die einfache, problemlose Kuh mit hoher Milchleistung“, erklärt mir die Herdenmanagerin Emöke Bakó. Es werden ausschließlich Bullen eingesetzt, die reinerbig für Betacaseïne A2A2 sind. „Das spiegelt der Preis für die Milch aktuell zwar noch nicht wider, jedoch wollen wir uns auf die Zukunft vorbereiten“, so die Herdenmanagerin. Hornlose Bullen spielen überhaupt keine Rolle und die züchterisch uninteressanten Kühe werden mit Beef on Dairy Bullen angepaart. Die Rinder und Kühe in der ersten Laktation werden zu 100% mit gesextem Sperma besamt. „Wir können unsere Kühe zwar nicht fragen wie es ihnen geht, aber wir können sie gut beobachten“, schildert mir der Geschäftsführer Szajkó Lóránt. „Wir wollen Kühe mit besten Fundamenten und Eutern für den Roboter züchten. Es sind die kleinen Details, die im Endeffekt große Auswirkungen haben“, erklärt er.
László Bognár ist seit 1995 als Zuchtdirektor und Geschäftsführer tätig.
GROßARTIGE LEISTUNGEN
Das Milchleistungsniveau der ungarischen Kühe ist hoch und somit finden wir auch großartige Standardleistungen (305 Tage). Wenn wir uns die besten Kühe ansehen, finden wir die Montross Jedi-Tochter Sári mit 26,825 kg (59,015lb) von Erdőhát Ltd. und die Jonas-Tochter Bánat mit 23,350 kg (51,370 lb) von Berek-Farm Ltd. an der Spitze. Die leistungsstärksten Jungkühe der letzten zwei Jahre waren die Jungle-Tochter Kifli von der Solum Ltd. mit 19.414 kg (42,711lb) und Alkony (Spark-Red) von Kinizsi 2000 Ltd. mit 19.048 kg (41,906 lb). Die aktuell höchste, lebende Dauerleistungskuh ist Irma (Justice) von Gorzsai Mezőgazdasági Ltd. mit 159.878 kg (351,732 lb). Die ungarische Rekordhalterin seit 2018 ist jedoch Begonia (Mountain x Dollar),die in 12 Laktationen 160.839 kg (353,846 lb) mit knapp 9.000 Fett und Eiweiß kg produzierte. Wenn wir uns die besten Zuchtwerttiere ansehen, finden wir Káró (Winstar-Windsor) mit 1752 HGI an der Spitze. Gefolgt von der Giround-Tochter Vércse mit einem gHGI von 1733.